Schleswig war mir auf Anhieb unsympathisch.
Das begann mit der Parksituation. Lauter Parkplätze, Parkhäuser, alles perfekt ausgeschildert, leicht zu finden – und überall Platz. Aber überall: Parken mit Parkscheibe. Halbe Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Ich hätte ein Parkhaus mit Kassenautomat bevorzugt. Der Geld gekostet hätte. Es gibt keine dümmere Entscheidung der Zuständigen in einer Stadt, als nur Parkscheibenparken zuzulassen. Für einen Touristen bedeutet das: Stress. Ich bin nicht flexibel, muss daran denken, dass die Zeit abläuft, weiß nicht, wie die Handhabung am Ort ist – nur ein Ticket, eine Parkkralle oder schleppen die am Ende gnadenlos ab? -, und lauter solche Unsicherheiten. (Gleiches gilt auch für diese unsittlichen Parkscheinautomaten.) Es mag sein, dass ein Parkhaus herkömmlicher Machart am Ende teurer ist – aber es bietet Schatten für’s Auto (was bei zwei Hunden nicht ganz unwichtig ist) und es macht eben flexibel: Es ist egal, wann man zurückkehrt, nach einer, zwei, fünf oder sieben Stunden. Es kostet nur Geld. Und es funktioniert nach einem klassischen Geschäftsprinzip: erst die Ware, dann das Geld.
Aber Schleswig hat sich dazu entschieden, es mit der Parkscheibe zu machen. Gut. Minuspunkt. Nicht mein Problem. (Und es mag sein, dass es irgendwo in Schleswig auch ein »normales« Parkhaus gibt, aber das haben wir nicht gefunden. Punkt.)
Das ging weiter mit … ich weiß nicht, wie ich’s ausdrücken soll. Action? Leben? Aktivitäten? Es war nichts los. Gar nichts. Es war irgendwie zehn, halb elf, aber es war nichts los. Wir konsultierten die Touristeninformation, danach den Dom. Der war recht nett anzusehen, innen ein wenig sparsamer ausgestattet, als man es bei einem Dom so erwartet, aber der Sankt-Petri-Dom ist ein evangelischer Dom. Und auch er konnte zur Steigerung der Sympathie gegenüber Schleswig nichts beitragen, denn dieser Dom verweigerte den Geschöpfen Gottes den Zutritt, wenn es sich nicht um Zweibeiner handelte, die den Klingelbeutel oder eines der anderen zahlreichen Geldgräber füllen konnten. Für die Orgel, für die Nebenorgel, für den Dom, für den Fußboden, für den Henker, für irgendeine vermutlich goldene Badewanne … Manchmal erinnere ich mich wieder daran, warum ich aus der (katholischen) Kirche ausgetreten bin.
Danach spazierten wir in den Ortsteil Holm, der auf irgendeiner Karte … ach ja, der auf der Schleswig-Seite im Internet, da war Holm jedenfalls als Altstadt bezeichnet. Vermutlich kommt das auch hin, denn die durchaus ansehnlichen Häuser waren ziemlich durchgehend ziemlich alt. Aber schön hergerichtet. Und genau das war eines der Probleme. Holm sah aus wie geleckt, wie hergerichtet, fast ein wenig künstlich. Man bekam sofort den Eindruck, dass man hier in fünfter Generation geboren sein musste, um überhaupt auch nur eine Souterrainwohnung ohne Fenster mieten zu dürfen, geschweige denn, mehr zu erwarten.
Dazu trug auch der Friedhof gleich am Eingang zum Ortsteil bei, ein schmuckes Teil mit einer ebenso schmucken Kapelle; das Betreten des Friedhofs war strengstens verboten, er war laut einer Infotafel Freizeitbeschäftigung einer Totengilde namens Holmer Beliebung und die Leute, die da lagen, waren lange tot: Ganz am Anfang ein Grabstein von irgendjemandem, der ’91 geboren worden war – und ’16 starb: 1891 und 1916 …
Und dann kam noch die Erkenntnis hinzu, dass Schleswig wohl das zweite deutsche Testgebiet deutscher Verbotsschilderhersteller sein musste. Oder auch nicht. Denn die meisten Verbotsschilder waren wohl eher von privater Provenienz. Durchgang verboten, Parken verboten, dies und jenes verboten, an einer Stelle war es sogar nicht erlaubt, Steine ins Wasser zu werfen. Beim »Durchgang verboten«-Schild frage ich mich immer, wie die Bewohner von Gebäuden hinter diesem Schild in ihr Haus gelangten. Immerhin stand da nichts von »Anlieger frei« oder so. Da stand »Durchgang verboten«, und das war allgemeingültig, galt für alle, ausnahmslos.
Im Sankt-Johannis-Kloster, dem am besten erhaltenen Kloster Schleswig-Holsteins, wie man auf einer Tafel lesen konnte, gab es zwei Eingänge. Man gelangte in einen Kreuzgang im Inneren eines Gebäudes, in dem offensichtlich auch gewohnt wurde. Ein Schild informierte darüber, dass das Spielen und Lärmen von Kindern strengstens verboten sei. In andere Teile des Klosters gelangte man nicht, nicht in den Innenhof, nicht in die Klosterkirche, nur in diesen finsteren viereckigen Gang, der ansonsten völlig uninteressant war.
In Holm jedenfalls wollten wir nicht wohnen. Ums Verrecken nicht. Nicht geschenkt.
Wir gingen dann weiter am Hafen lang. Laut dem Ortsplan, den wir in der Touristinfo erhalten hatten, gab es hinter dem Hafen, in den sogenannten Königswiesen – künstlich angelegte Grünflächen mit Wasser, eigentlich ganz nett – einen Hundestrand. Inzwischen hatten wir ja schon mit schleswig-holsteinischen Hundestränden unsere Erfahrung, und siehe da: Der Schleswiger Hundestrand war eine Hundebadestelle – am Wasser vielleicht zehn Meter breit, und die Sandfläche davor war mit irgendwelchen abstrusen Plastiken vollgestellt. Und das Beste: Hunde waren an der Leine zu führen. Klarer Minuspunkt in A- und B-Note.
Der weitere Weg führte uns in die Fußgängerzone Schleswigs, den Stadtweg und die Mönchenbrückstraße. Läden, Cafés, die auch Restaurants waren, keine Kneipen, nichts, bei dem man sich vorstellen konnte, dass es ein Schleswiger Nachtleben gab. Insgesamt besaß die Fußgängerzone den Charme einer DDR-Autobahn kurz vor der Wende.
Wir nahmen unser Mittagsmahl in einem Restaurant namens »Mühlen Bach« (mein Gott!). Mein Putenschnitzel »Hawaii« war okay, das Diebels auch; nur die Gattin war von ihrem »Weichkäsesalat« nicht begeistert, zumal der Weichkäse ein viel zu stark gesalzener Feta war (und Feta ist inzwischen bei allen Gelegenheiten eine absolut langweilige Idee zu einer Salatkomposition – fantasielos trifft es vielleicht noch besser).
Am Ende war klar: Schleswig hat verkackt. Keine Chance. Keine Punkte. Kein Rang in der Hitliste. Nichts dergleichen. Wenn ich nach dem Urlaub wieder daheim bin, werde ich Schleswig mit einem schwarzen Edding aus allen vorhandenen Atlanten tilgen. (Es muss einen guten Grund gegeben haben, warum die Gattin immer »Schwerin« sagte, wenn sie »Schleswig« meinte.)
Wir ergriffen vorzeitig die Flucht.
Kim und ihr Apfel …
P.S.: Bevor wir die Königswiesen mit unserer Anwesenheit erfreuten, bekamen die Hunde ihr Obst, was sich an den Tagen zuvor bewährt hatte, weil wir lange genug unterwegs waren, dass vor allem Naomi bis zur nächsten Autofahrt gut verdauen konnte. – Kim bekam ihren Apfel, Naomi ihre Birne, ich meine Beweisfotos. Und vorübergehende Passanten ihre Belustigung. Eine Gruppe – drei oder vier Pärchen älteren Datums – ging vorüber und fand es bemerkenswert, zwei Hunde dabei zu beobachten, wie sie Obst verkimmelten. Verständlich – wer kennt sich mit Hunden schon aus, wenn er selbst keinen hat? Und selbst wenn er einen hat, weiß er wirklich, was ein Hund alles frisst? Naomi ist zugegebenermaßen noch ein wenig eigen – die Birne geht, ein Apfel schon nicht mehr. Das kann aber mit der Art, wie sie das Obst zu sich nimmt, zu tun haben. Kim hingegen nimmt so ziemlich alles, was ihr angeboten wird; das einzige, was sie bislang ablehnte, waren rohe Möhren.
Naomi und ihre Birne …