Es war ein Weihnachtsgeschenk. 2010 lag ein Gutschein für Hammer Events (www.hammer-events.com) unter dem Weihnachtsbaum. Solche Anbieter gibt es in Deutschland einige, und allen ist gemein, dass sie außergewöhnliche Dinge zum Verschenken anbieten: Ballonflüge, Fotoshootings, Hubschrauberrundflüge, Autos mieten oder nur fahren, die man nicht alle Tage in die Finger bekommt.
Für mich war von vornherein klar, dass es eine Autofahrt sein würde. Nichts allzu Übertriebenes. Der Gutschein deckte nur einen Teil der entstehenden Kosten, den Rest würde ich selbst tragen. Und einen Murcielago zu fahren, das würde ein Traum bleiben müssen.
Aber das machte nichts. Der Lamborghini Gallardo, für den ich mich entschied, war immer noch weit jenseits von allem, was ich in meiner mehr als dreißigjährigen Autofahrerkarriere fahren durfte: der LP 520-4 ist das kleinste Gallardo-Modell, bei dem man mit zehn Zylindern und nur 520 PS auskommen muss.
Im Januar löste ich den Gutschein ein, buchte die einstündige Gallardo-Fahrt und überwies den Rest. Einen Termin legte ich noch nicht fest.
So ein Geschenk ist schön, die Entscheidung getroffen zu haben gut. Aber das Jahr 2011 verging. Zuerst konnte ich mich nicht für einen Termin entscheiden, dann wurden für München keine freien Termine mehr angeboten. Und irgendwann im Herbst war die Saison für die Sportwagen eh vorbei.
Mir war es recht. Im Grunde war mir die Idee, so ein Auto zu fahren, nicht geheuer. Alle möglichen Überlegungen gingen mir durch den Kopf, wenn ich an den noch offenen Gutschein dachte. Die schnellsten Autos, die ich bislang gefahren hatte, waren harmlos: ein Opel Omega 3000 und ein 520er BMW. Beide Ereignisse fanden in den 80ern statt, beides quasi Überführungsfahrten für meinen damaligen Arbeitgeber. Und der leistungsstärkste Wagen, den ich selbst jemals besessen hatte, war und ist der Renault Laguna, den ich heute noch fahre: 4 Zylinder, 1,9 L Hubraum, 99 PS, ein Diesel.
Ich hatte einmal in meinem Leben in einem DeLorean gesessen. Er stand bei meinem damaligen Vermieter in der Scheune. Ein zweiter lag noch in Einzelteilen herum. Ich erinnere mich, dass ich nicht nur gerade eben in den DeLorean reingekommen bin, sondern dass es noch viel schwieriger war, wieder herauszukommen. Würde der Gallardo vielleicht zu klein für mich sein – oder besser: ich für ihn zu groß? Und was würde der Gallardo für eine Schaltung haben? Würde ich mit diesen seltsamen »flappy paddles« zurechtkommen, über die Jeremy Clarkson in »Top Gear« so oft schimpfte (d. h., eigentlich nicht über die »paddles«, sondern über die Schaltung, die damit gesteuert wurde)? Und wo würde der Treffpunkt sein, würde ich in der ganz sicher viel zu kurzen Stunde in der Stadt herumgurken müssen? Und konnte ich mir die Strecke selber aussuchen? Und welche sollte ich dann fahren? Und … und … und …
Wenn man nichts unternimmt, werden solche Fragen nie beantwortet. 2011 ging herum, und Anfang 2012 war der Gutschein immer noch ungenutzt. Irgendwann dann, ich glaube, im Februar, gab ich mir dann einen Ruck und buchte den Termin: 10. April. Der Rest war ganz einfach: Es gab eine E-Mail-Bestätigung von Hammer Events, und kurz vor dem Termin wurde der Treffpunkt bekannt gegeben. Der war in Garching, direkt an der A9.
Am 10. April machte ich mich dann gegen 11.40 Uhr auf den Weg. Der Termin war um 13 Uhr, und ich wollte mich nicht verspäten; ich hasse es sowieso, zu spät zu kommen. Die Fahrt nach Garching war problemlos, der Treffpunkt sogleich gefunden. Es standen reihenweise Autotransporter herum, die kleinen, auf die immer nur ein Wagen passte. Ich war zehn Minuten zu früh, und während ich wartete, fuhr ein Aventador herum, ein Audi R8 traf ein. Und dann auch der Gallardo.
Er war orange, wie gesagt, nicht gelb, wie auf dem Urkundenbild. Und er sah erkennbar gebraucht aus. Der Stoßfänger zeigte Spuren von unplanmäßigen Berührungen mit … keine Ahnung, mit irgendwas eben. Ein Teil vorne links war mit Klebeband umwickelt. Und er war ein paar Tage nicht in der Waschanlage gewesen – logisch, er soll Geld einbringen und nicht in der Waschanlage herumstehen.
Orange war er, und kleiner wirkte er, als ich erwartet hatte. Subjektiv war er schmaler und zierlicher als mein Laguna – und der ist schon nicht sonderlich beeindruckend. Und flach war er – wenn ich neben ihm stand reichte er mir nicht mal bis zur Hüfte.
Es gab noch ein Formular zum Forderungsverzicht zu unterschreiben, dann ging es zum Wagen.
Die Türen des Gallardo sind unspektakulär. Keine Schmetterlingsflügel, keine Klapptüren mit exotischen Abwinkelungen, nein, ganz simple Autotüren; allerdings nichts für einen Supermarktparkplatz mit den dort üblichen Abständen zwischen den parkenden Wagen.
Ich passte hinein. Wäre ich fünf Zentimeter größer gewesen, wäre es allerdings schon schwierig geworden.
Der Innenraum wirkte eng, das Armaturenbrett wuchtig. Das wurde optisch unterstützt durch den tiefen Sitz des Fahrers, die schmale Windschutzscheibe und die noch schmalere Heckscheibe (durch die man allerdings was sehen konnte, was beim DeLorean damals nicht der Fall war).
Es gab eine kurze Einweisung in den Wagen. Die Schaltung erwies sich als unproblematisch. Eigentlich hatte der Wagen eine Automatik; die »flappy paddles« konnte man benutzen (zum Raufschalten, runter schaltete er auf jeden Fall von selbst), musste man aber nicht. (Da ich so ein Auto überhaupt nicht kannte, den Wagen im Besonderen sowieso nicht, und die Schaltung auch ungewohnt gewesen wäre, entschloss ich mich, dem Geschoss das Denken und Schalten zu überlassen und mich ganz aufs Fahren zu konzentrieren.)
Der Instruktor – der auf der Fahrt mit dabei war – wies mich auf den einem Jumbojet ähnelnden Wendekreis ebenso hin, wie auf die Tatsache, dass die 520 PS und der zugehörige Drehmoment ein gefühlvolles Anfahren und Beschleunigen ratsam sein ließen.
Dann ging es los –
Die Stunde war wie im Fluge vorbei. Sprichwörtlich. Eigentlich sollte man einen Mix fahren: 15 Minuten Autobahn, 15 Minuten Landstraße, 15 Minuten Stadt – aber das war nicht fix, wie sich zeigte, und so war es bei mir eine fast reine Autobahnfahrt.
Da ich zuvor im Radio von einem Stau auf der A9 beim Kreuz Holledau gehört hatte, entschied ich mich für die A92 Richtung Deggendorf. Nach dem Flughafen wurde die Strecke leerer, und der Wagen ließ sich fahren. Auf 200 km/h zu kommen, war nicht nur kein Problem – ich merkte es fast nicht. Bei 150 km/h war der Gallardo langsam, bei 100 schien er bereits zu stehen. Der Wagen war bei Weitem nicht so laut, wie ich angenommen hatte. Man vernahm den kernigen Sound, natürlich – das gehört sich so. Aber man konnte sich problemlos unterhalten. Und was soll ich sagen?
Es war ein Erlebnis!
Bei 200 km/h fuhr man bequem im sechsten Gang. Trat man das Pedal durch, schaltete der Gallardo in den vierten Gang herunter. Das fühlte sich an, als würde jemand den Motor im Heck herausrupfen und einen anderen Motor hineinfallen lassen. Da war nichts von der Geschmeidigkeit normaler PKW-Automatikschaltungen: Der Gallardo schaltete mit brutaler Gewalt und Kraft. Und wenn man bei 200 km/h das Pedal durchtritt, dann wird man in den Sitz gedrückt – mit spürbarer, beeindruckender und für jemanden, der sowas noch nicht selbst erlebt hat, unbeschreiblicher Macht.
Durch die auffallende Färbung und natürlich auch durch die Form des Wagens war es kein großes Problem, auf der linken Spur freie Fahrt zu bekommen. Aber nicht alle Autofahrer waren sich im Klaren darüber, was da hinter ihnen fuhr. Insbesondere Mercedesfahrer gehören inzwischen wohl zu der geistig gemächlicheren Sorte Autofahrer, und bei einem BMW kann man davon ausgehen, dass die Marketinglügen des Herstellers inzwischen alle Gehirnzellen der Besitzer solcher Wagen kräftig durchseucht haben.
Anders jedenfalls war der 7er BMW nicht zu erklären, der todesmutig – und trotz freier rechter Spur – nicht weichen wollte, bis er bei 270 km/h doch aufgab. Auf diesem Stück Richtung Deggendorf konnte ich meine selbst gefahrene Höchstgeschwindigkeit auf 310 km/h erhöhen – für die Dauer von knapp fünf Minuten.
Bei Moosburg wendete ich, es ging zurück zur A9, diese dann Richtung Norden bis Allershausen, von dort aus wieder retour – und zum Treffpunkt zurück.
Es war beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit der Wagen beschleunigte. All die Daten und Zahlen, die man in Autosendungen sieht, in Autozeitungen liest, sagen im Grunde genommen nichts aus. 5 Sekunden von 0 auf 100? Was heißt das schon? Selbst gefahrene 5 Sekunden von 0 auf 100, selbst gefahrene 11 Sekunden von 0 auf 200, das ist real. Und wenn man denkt, bei 200 km/h würde man sich den Leistungsreserven des Autos genähert haben, sah man sich übel getäuscht. Der Gallardo-Tacho trägt als letzte Zahl eine 380.
Auf der Heimfahrt musste mein Laguna – 99 PS, wie gesagt, Höchstgeschwindigkeit 188 km/h laut Papieren (aber die schafft er wohl schon lange nicht mehr) – zeigen, was er konnte. Eigentlich hatte ich befürchtet, dass ich nach der Gallardo-Fahrt den Eindruck haben würde, überhaupt nicht mehr vorwärtszukommen, doch dem war nicht so. Fast sogar im Gegenteil. Der Laguna gab sein Bestes und er war toll an diesem Tag. Er gönnte mir den Nachklang des Erlebnisses, ein tolles Auto gefahren zu haben, und war bestens aufgelegt. Vielleicht hat er an diesem Tag seine 188 km/h doch noch einmal erreicht …
Ich denke, im Laufe der nächsten zwei Jahre werde ich mir so eine Fahrt noch einmal gönnen. Vielleicht mit einem anderen Auto, ganz sicher aber länger. (Für 699 Euro kann man den Gallardo auch drei Stunden fahren …). Für das erste Mal haben sich die 279 Euro voll gelohnt. Es war, um das noch einmal zu sagen, ein beeindruckendes Erlebnis.
Der Dank gebührt dir, Cindy, denn ohne deinen Gutschein wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, so was zu machen. Das war ein tolles Geschenk!