Veronika A. Grager
TOTE NUR NACH VORANMELDUNG
Kral Verlag, Berndorf (Österreich), 2010, Hardcover, 246 Seiten, ISBN 978 3 902447 82 1
Der Titel ist durchaus ein wenig irreführend, lässt er den unbedarften Käufer doch vielleicht glauben, das Buch wäre eine Sammlung von Krimigeschichten – was es in solcher Reinheit mitnichten ist. »Neunzehn Betthupferln, heiter bis mörderisch, liebevoll bis hasserfüllt, drängen sich zwischen den Buchdeckeln« (Klappentext) Und die Bandbreite der Themen ist in der Tat recht groß.
Der Reihe nach:
- »Mitten ins Herz« ist die eigentlich titelgebende Geschichte, eine Krimistory, in der Dorothea »Dorli« Wiltzing, Mitarbeiterin in einer Gemeindeverwaltung, einen Mord aufklären kann. Die Story setzt die Hinweisschilder, wo es hier langgeht, an der richtigen Stelle, und auch wenn es solche mehr oder minder verhinderten Freizeitkriminolog[inn]en bereits wie Sand am Meer gibt: Die Wiltzing hätte das Zeug dazu, eine einschlägige Serienfigur herzugeben.
- »Schön«: Eine interaktive Geschichte mit zwei Enden, in der es um den Schlankheitswahn neuzeitlicher Models geht. Das eine Ende ist vermutlich das Ende, das auch die Wirklichkeit schreiben würde; das andere dagegen ist so harmlos, dass irgendwo unter der Haube nur Satire stecken kann.
- »Weiber an Bord«: Dass Frauen an Bord Unglück bringen, ist eine Binsenweisheit. Also reicht dazu auch eine kurze Geschichte, eher ein Sketch.
- »Aus Stein«: Eine ganz fiese, richtig böse Geschichte, die einem Hundefan wie mir auf den Leib geschrieben worden sein könnte. Tödliches Ende, tödlich gut.
- »Hafenmanöver«: Eine Geschichte vom Segeln – offensichtlich ein Hobby der Autorin, denn das Thema kommt immer wieder vor – und vom typischen Verhalten von Menschen in Situationen, in denen es vermeintlich darum gehen könnte, wer der Erste ist.
- »Treffer, versenkt«: Und diese Geschichte ist nicht minder gemein wie »Aus Stein«, wenn auch mit einem ganz anderen Thema. Eine Firma schließt ihren Standort, verlagert das Geschäft nach China und lässt die Mitarbeiter im Stich. Damit die Mitarbeiter ihre Lieben nicht auch im Stich lassen müssen, gibt es in wenigstens einem Fall nur einen Weg.
- »Urlaub & andere Katastrophen«: Eine richtige Urlaubsgeschichte, mit einer Protagonistin, zwei Hunden und einer gut aussehenden Urlaubsbekanntschaft. Aber wie einfach und unkompliziert wäre das Leben, gäbe es keine Familien. Eine filmreife Story, leicht geeignet, 45 bis 60 Minuten Abendprogramm auf ARD oder ZDF – oder ORF <g> – zu füllen.
- »Seekrank«: Segeln auf dem Neusiedler See – und wie man sich den Tag versauen kann, wenn man drüber nachdenkt, was da so im Wasser schwimmt.
- »Das Feuerwehrfest«: Noch eine fiese Geschichte, in der sich ein Mädel gegen ihre Freundin wehrt, die ihr den Mann ausspannen will. Endgültig.
- »Aussichtslos«: Und auch hier hilft jemand – Max – nach, sein Leben entscheidend in einer gewünschten Richtung zu beeinflussen.
- »Klabautermann«: Das ist weniger eine Geschichte, als eine Art Wikipedia-Eintrag zum Klabautermann und zu Dingen, die man zum Thema Segeln wissen sollte.
- »Zuagraste« (hochdeutsch »Zugereiste«) könnte auch eher aus einem Almanach stammen, ist aber deutlich amüsanter, wenn beschrieben wird, warum und wie Zuagraste nie etwas anders sein können als eben Zuagraste.
- »Mutprobe« – solche gehen ja in Geschichten und Filmen immer besonders gerne schief, damit Spannung entsteht. Hier ist es nicht anders. Und ich erfuhr einmal mehr, warum es gut war, dass ich mich immer von allen Cliquen ferngehalten habe …
- »Die Lesung«: Eine der besten Geschichten in diesem Buch, ohne Zweifel. Es ist einfach nicht so sicher, dass in dem Buch, auf dem dein Name und dein Titel steht, auch das drin steht, was du dachtest, eigentlich reingeschrieben zu haben. Genial.
- »Leuchtfeuer«: Wieder eine Seglergeschichte, diesmal um die Widrigkeiten der Navigation.
- »Maturatreffen«: Eine Geschichte um einen Privatdetektiv, die Suche nach der Tochter eines Freundes und ein Klassentreffen. Fast ein kleiner Klassiker, der zwar alle Klischees, die zu so einer Geschichte zu gehören scheinen, vereint, aber diese auf sehr geschickte und schöne Weise miteinander kombiniert. Filmreif.
- »Freigesetzt«: Eine Geschichte mit Brief – was einem Menschen nach einer Kündigung so durch den Kopf aufs Papier geht.
- »Der beste Segler« ist nicht immer der, der sich so aufspielt. Viel wahrscheinlicher ist, dass es sich eher um einen Macho handelt – und bei einer Umrundung des italienischen Stiefels auf einer Überführungsfahrt eines Segelbootes kann sich das schon mal als offensichtlich herausstellen. Ein Seglerabenteuerchen.
- »Mondbeben« ist die unzweifelhaft beste Geschichte in diesem Buch, nicht nur, weil ich schon die Freude hatte, sie in meinem STORY CENTER 2009, Band 1, »Das Wort« (AndroSF 4) veröffentlichen zu dürfen. Die Geschichte um die Ereignisse, die sich während der 1969er Mondlandung der Amis wirklich ereigneten, ist nicht nur genial geschrieben, sie ist einfach grenzenlos gut. Eine absolut einmalige Mischung aus SF- und Agentengeschichte, die man unbedingt gelesen haben sollte.
Die Gragerin lernte ich durch das erwähnte STORY CENTER 2009 kennen, an die Story »Mondbeben« kam ich durch das damals noch »Earth Rocks« genannte Magazin. Sie ist Österreicherin und das merkt man den Geschichten an. »Niederösterreichisches Lokalkolorit mischt sich fröhlich mit Storys von Urlaub und Meer, der schönen, neuen Arbeitswelt und allerlei anderen alltäglichen Gemeinheiten« (Klappentext). Unzweifelhaft ungelogen. Dabei ist es bei diesen manchmal in der Mischung ein wenig deplatziert wirkenden Geschichten – »Klabautermann« zum Beispiel, aber auch die Seglergeschichten wirken zunächst eher unpassend – genau dieses niederösterreichische Lokalkolorit, der es immer wieder gnadenlos rausreisst. Wer österreichische Komödien oder TV-Krimis mag, der hat mit dem Griff nach diesem Buch definitiv den richtigen Griff getan. Das Werk liest sich insgesamt flott, sehr österreichisch eben, sehr gut geschrieben und von kleinen und großen Spannungskurven her keine Wünsche offen lassend.
Zwei Zitate hab ich, bei denen ich besonders herzhaft lachte, beide aus der Geschichte »Zuagraste«:
»Die Bahn nach Weissenboch wollen’s einstölln.«
»San denn de total deppat? De wird do grad um teias Göld ausbaut und zum Teu s’Gleis, da Unterbau und de Signalanlagen gonz neich gmocht.«
»Wieda mol typisch. Um unser Geld ist denen da oben nix z’teia. Aber ham tua ma nix davon!«
»Na glaubst wirklich, dass de die Bahn einstellen?«
»Steht im Bezirksblattl.«
»Na dann. Solche Hirnederln!«
»Was wüllst von da ÖBB? San eh ollas Bücha. Hauptsach de Politika schiebn eana’s Göld hinten eine .Und fia wos, frog i di? Mochen an Bledsinn nochn aundan. Und mia miassens brenna.«
Zum Ausgleich für weniger Kirchen gibt es in jeder zweiten Kurve etliche Mrterln, wo sich irgendein Raser ins Gemüse verfranst hat und an einem Baum zerschellt ist. Gefahren wird nämlich flott, dort wo es außer Gegend nur Gegend gibt. Ob mit oder ohne Geist. Und am ärgsten sind die Busse. Wenn dir einer im Winter auf rutschigem Boden mitten auf der Straße mit wahnwitzigem Tempo entgegenkommt, quetschst du dein Auto gerne gegen eine Schneestange oder in den Tiefschnee am Straßenrand, nur damit dich der rote Rammbock nicht von der Piste fegt.
Das ganze Buch ist voll solcher Stellen, und deshalb ist es ein gutes Buch. Amüsant, spritzig, bestens zu lesen. Voll und ganz empfehlenswert.
Mir als Präzisionsscheißer kann man es natürlich nie vollends recht machen. Also:
Der Umschlag ist fürchterlich kratzempfindlich. Man sieht jeden Fingerabdruck und jede geschobene Berührung des Covers mit anderen Werkstoffen, vor allem solchen härterer Oberfläche. Und um einen Kratzer zu hinterlassen, bedarf es keinerlei Anstrengung.
Überhaupt hätte dem Werk der Taschenbuchcharakter besser gestanden, glaube ich. Immerhin hätte man sich den 140- oder 150prozentigen Durchschuss zugunsten des üblichen 120ers sparen können. Das hätte der Lesbarkeit keinen Abbruch getan, im Gegenteil.
Und für das nächste Werk empfehle ich ganz, ganz dringend den Einsatz der Duden-Korrektor-Software oder irgendeines menschlichen Korrektors, der es drauf hat. Die meisten Menschen wird das orthografische Tohuwabohu vielleicht nicht stören, manch ein anderer wird es vielleicht auf das »niederösterreichische Lokalkolorit« schieben, aber das ist es nicht. Im Großen und Ganzen sind die Texte über weite Strecken einfach unkorrigiert, und das finde ich zumindest immer ärgerlich, weil es so einfach ist, ein anständiges und ordentliches Deutsch auch auf Papier zu bannen.
Aber wie gesagt: Das ist meine Präzisionsscheißerei (ein Wort übrigens, das der Duden-Korrektor kennt und korrigiert <g>). Sonst nichts. Muss niemanden beeindrucken. Was man von dem Buch nicht behaupten kann – das beeindruckt nämlich durchaus.