Gran Torino
(Clint Eastwood, USA 2008)
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Bei diesem Titel erwartet man möglicherweise eine Rennfahrergeschichte. Auf jeden Fall eine Geschichte, in deren Mittelpunkt – nicht nur für den beinharten Fan – das Auto steht, und an zweiter Stelle erst sein Fahrer. Aber Clint Eastwood, der hier den grantigen alten und rassistischen Walt Kowalski spielt, ist Garant nicht nur für Besseres, sondern vor allem auch für Anderes.
Walt Kowalski jedenfalls ist ein alter Veteran des Koreakriegs, der nicht nur den Tod seiner Frau zu verkraften hat, nicht nur seine Söhne und deren Familien, sondern auch die Tatsache, dass sich »sein Viertel« nach und nach – und das schneller, als es sich so liest – mit Asiaten aus aller Herren Länder füllt. Und nicht nur mit solchen. Die Spitzen des Lebens, die Walt pieksen, sind nicht nur diese Ausländer, sondern auch der Father Janovich (Christopher Carley), der Walts Frau versprechen musste, Walt zur Beichte zu schleppen. Und andere Dinge mehr.
Zu Beginn des Filmes überlegt man, ob man Eastwood wirklich zutrauen soll, dass er den ganzen Film diesen Rassismus durchhält, der selbst vor seinem Friseur (Barbar Martin, gespielt von John Carroll Lynch) nicht haltzumachen scheint. Aber die Wende kommt, und sie kommt, als Walt das Nachbarsmädchen Sue Lor (Ahney Her) aus den Fängen dreier gelangweilter junger Schwarzer erlöst, was nicht mal ihr Date (das Trey, gespielt von Scott Eastwood, gewesen sein müsste) schaffte. Sue ist frech und direkt und alles andere als eingeschüchtert von dem bösen, alten Mann, der zuvor – wenn auch unabsichtlich – auf ihren Bruder Thao (Bee Vang) geschossen hatte, als der versuchte, Walts 72er Gran Torino – da ist er endlich! – zu stehlen.
Es ist schwer zu übersehen, dass Sue Lor den Grantler mag. Sie bringt ihn dazu, sich mit seinen Nachbarn auseinanderzusetzen. Während einer Feier kommt er in ersten engeren Kontakt mit Thao. Der hatte versucht, Walts Gran Torino zu stehlen, um in die Gang seines Cousins Spider (Doua Moua) aufgenommen zu werden – was misslang. Zum Ausgleich muss Thao für Walt arbeiten, was dem nicht nur nicht passt, sondern auch schwerfällt, weil er selbst trotz seines Alters durchaus selbstständig in der Lage ist, sein Leben zu bewältigen. Aber es gibt immer Möglichkeiten –
Die Geschichte, die im Grunde genommen recht einfach ist, ist es nicht wirklich. Oder doch: Der alte Grantler, der sich als Rassist gibt, aber nicht wirklich einer ist – eher sogar im Gegenteil -, der sich dann doch mit dem Nachbarsjungen und seiner Familie anfreundet und für diesen Jungen schließlich das Wertvollste gibt, das er in seinem alten Leben noch zu geben hat, das ist eine einfache, geradlinige und sehr schöne, sehr anrührende Geschichte. Sie wäre mit anderen Schauspielern möglicherweise der Gefahr unterlegen, zur Schnulze geraten – was Eastwood einfach nicht zulässt. Vor diesem einfachen und geradlinigen Grundplot spielen sich zahllose kleine und ungeheuer wichtige Details ab, die man nicht aufzählen kann, wenn man den Film – wie ich bislang – nur einmal gesehen hat. Die Szenen, in denen Walt den jungen Thao, den er anfangs immer nur Mao nennt, »zum Mann machen« will, sind genial: Wie sie da in Walts gigantischer Werkstatt stehen und Thao, dieses Bürschlein, darüber sinniert, dass er sich diese riesigen Mengen Werkzeug niemals würde leisten können, und Walt ihm erklärt, dass man dafür eben fünfzig Jahre bräuchte. Oder der Dialog bei Barber Martin, als Walt Thao zeigen will, wie richtige Männer sich miteinander unterhalten; das Ergebnis wird reflektiert, als Thao in Begleitung von Walt Tim Kennedy (William Hill) begegnet, einem Bauleiter, für den Thao arbeiten möchte. Die Szenen, als die Asiaten des ganzen Viertels haufenweise Geschenke – vor allem Speisen und Blumen – vor Walts Haus auf die Verandatreppe stellen, und er sich so gar nicht konsequent dagegen zu wehren weiß. Der Film ist bis unter die Schädeldecke vollgestopft von solchen Feinheiten, kleinen Strasssteinen des Filmschaffens, Facetten des Clint Eastwood, die überraschen, obwohl man sie doch so erwartet hat.
Clint Eastwood ist für mich ein Schauspieler, der seit Anfang des dritten Jahrtausends (i. e. 01.01.2001 ‹g›) gefühlte dreihundert Filme gemacht hat, und in Wirklichkeit waren es nur drei: »Blood Work« (2002), das sensationelle »Million Dollar Baby« (2004) und eben »Gran Torino«. Beim Nachlesen in der IMDb stellt man überraschend fest, dass die »Space Cowboys« schon aus dem Jahr 2000 stammen, und das wundervolle Stück »In the Line of Fire« auch schon 16, 17 Jahre alt ist (1993). Wie doch die Zeit vergeht –
Eastwood ist durchaus nicht der absolut herausragende Schauspieler des Films. Im Rahmen der zugestandenen Möglichkeiten brillieren Bee Vang (als Thao Vang Lor) und Ahney Her (als Sue Lor) sehr wohl, etwas zurück fällt Father Janovich (Christopher Carley) als Figur. Der Rest, allen voran Walts Familie, sind Statisten, Figuren, die für die Handlung benötigt werden. Selbst die Gang, die zu Thaos Familie gehört, ihm das Leben schwer macht und nach einer Einmischung Walts seine Schwester Sue verprügelt und vergewaltigt, das sind alles nur Statisten.
Das Ende des Filmes ist überraschend – aber ein richtiges Eastwood-Ende. Meine Freundin fragte nach der Szene, als Sue Lor verletzt und vergewaltigt nach Hause zurückkehrte, was Walt Kowalski nun tun würde, und die Frage konnte ich nicht beantworten, wollte es auch nicht. Es wäre einfach zu einfach gewesen, wenn Eastwood hier seinen ersten echten Ballerfilm gemacht hätte. Und die Frage wurde auch nicht einfach und simpel beantwortet, sondern es gab ein Hin und Her. Walt ging sogar zur Beichte, was er immer abgelehnt hatte – und köstlich, was er zu beichten hatte. Father Janovich hegte Befürchtungen, was Walt tun würde; und Thao verlangte von ihm, gleich und sofort das Problem mit Gewalt aus der Welt zu schaffen. Und es war Gewalt, die das Problem beseitigte. Wenn auch auf eine ganz typische Art und Weise. Eastwood-like.
Dieser Film hat mich beeindruckt. Ich mag Filme mit alten Männern in der Hauptrolle. Ich mag Filme mit dem alten Clint Eastwood. Ich mag auch andere Filme. Gestern abend mochte ich »Gran Torino«.