Dem Karl Marx sein Fisch. Oder ’s Känguru

Marc-Uwe Kling
DAS KÄNGURU-MANIFEST
Ullstein Buchverlage, Berlin, 2011, eBook: LVD, Berlin, eISBN 978 3 8437 0039 9

VORBEMERKUNG
Die Känguru-Fortsetzung gefiel mir nicht mehr so gut. Ich beherzigte meinen eigenen Tipp nicht, zugegeben: Lieber wenige der kurzen Geschichten nacheinander lesen, dann eine Pause einlegen. Ich habe das »Manifest« in einem Zug gelesen, sobald Zeit war, und das war vielleicht wirklich ein Fehler. Es dürfte in der Natur der beiden Bücher als eine Sammlung von schnellen Slapsticks, als Gagfeuerwerk liegen, dass es bei zu ausschweifendem Genuss anstrengend wird.

WORUM GEHT ES?
Um die Fortsetzung des Klingschen Lebens mit einem Känguru als Mitbewohner seiner Wohnung, ihren Alltag, ihre Leiden und Freuden, all das Übliche im Leben eben. Diesmal spielt auch häufiger das »Manifest«, an dem das Känguru schrieb und schreibt, eine Rolle.

WIE IST DER STIL?
Wie gehabt, gut zu lesen, sofern man sich an die richtige Dosierung hält.

WAS GEFIEL NICHT?
Einige Gags aus dem ersten Buch wurden wieder verwertet, allerdings nicht als Referenz an die »Chroniken«, sondern in Form echten Recyclings. Das fand ich ein wenig … ungeschickt. Ein paar verspielte kleine Chancen auf einen netten Gag sahen hier eher aus wie ein schlechtes Gedächtnis des Autors (und des Lektors), der einfach nicht mehr wusste, dass er das schon mal verarbeitet hatte.

WAS GEFIEL?
Auch hier, wie gehabt: Der Stil. Die Ideen. Der Wort- und Situationswitz.

EIN PAAR ZITATE GEFÄLLIG?

Bestens gefallen haben mir auch die falsch zugeordneten Zitate; das hat etwas naheliegend Geniales:

Wir stehen neben einer modernen Litfaßsäule – einer Litfaßsäule, die sich um sich selber dreht. Eine Litfaßsäule, die es einem ermöglicht, ohne sich von der Stelle zu rühren, alle drei darauf angebrachten Plakate zu begutachten. Es ist dreimal das gleiche Plakat.
»Das muss dieser Fortschritt sein, von dem immer alle reden«, sage ich.
Auf dem Plakat der Initiative Für Mehr Arbeit sieht man einen adrett lächelnden, jungen Mann mit Migrationshintergrund, der auf einer Großbaustelle steht, und der große, dicke, deutsche Vorarbeiter kneift ihm kumpelhaft in die Wange. Unter dem Bild steht: »Wir haben uns alle lieb – im Betrieb.«
Ich schüttle mich.
»Wie du ja weißt, bin ich einer der weltweit berühmtesten unbekannten Künstler im Genre, das neuerdings als Street Art gehyped wird«, sagt das Känguru.
»Wer weiß das nicht«, sage ich.
»Und jetzt habe ich mir den neuesten Schrei einfallen lassen.«
»Man schreibt irgendwo seinen Namen hin«, sage ich, »und dahinter schreibt man: ›war hier‹?«
»Nein. Falsch zugeordnete Zitate.«
»Zum Beispiel?«
Das Känguru schüttelt seine Spraydose und schreibt auf die Litfaßsäule: »Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst. Kim Jong-il.«
Ich muss lachen.
»Es ist ganz erstaunlich«, sagt das Känguru, »was eine veränderte Zuschreibung der Autorschaft aus den Zitaten macht.«
»Mehr Beispiele.«
»Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht«, sagt das Känguru. »Roland Koch.«
»Mister Gorbatschow, tear down this wall!«, sage ich. »David Hasselhoff.«
»Ich denke, also bin ich«, sagt das Känguru. »Til Schweiger.«
Wir gehen ein paar Schritte weiter, und das Känguru sprüht an die Wand einer Bankfiliale: »Hasta la victoria siempre! – John D. Rockefeller.«
»Da hat das rote Pferd sich einfach umgekehrt und hat mit seinem Schwanz die Fliege abgewehrt«, sage ich. »Johann Wolfgang von Goethe.«
»Jup«, sagt das Känguru. »Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los«, sage ich. »H. P. Baxxter.«
»Ich sehe, du hast es verstanden.«
»Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger«, sage ich. »Bastian Schweinsteiger.«
»Hör jetzt auf«, sagt das Känguru.
»Alles, was wir sind, ist das Resultat von dem, was wir gedacht haben«, sage ich. »Bastian Schweinsteiger.«
»Ich hätte dir nicht davon erzählen sollen.«
»How much is the fish?«, sage ich. »Karl Marx.«
Das Känguru seufzt.
»Heinrich, mir graut’s vor dir«, sage ich. »Thomas Mann.«
»Bitte …«
»Wenn man ein 0:2 kassiert, dann ist ein 1:1 nicht mehr möglich«, sage ich. »Satz des Pythagoras.«

»Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!« Benedikt XVI.

»Das wird keine Mauer«, sagt der Mann. »Nur ein Anti-Proletarischer-Schutzwall.«

»There’s No Business Like Show Business.« Muammar al-Gaddafi

»Darf ich dir hierzu eine Stelle aus meinem Manifest vorlesen?«, fragt das Känguru und zieht den altbekannten Stapel bekritzelter Blätter aus seinem Beutel.
»Nur wenn ich dir danach eine Idee für ’ne Geschichte erzählen darf«, sage ich.
Das Känguru zögert kurz. Dann nickt es. Es liest: »Die totale Fokussierung darauf, dass produziert wird und das völlige Desinteresse daran, was produziert wird, ist leider nicht nur für die Kapitalisten, sondern auch für die Arbeiter bezeichnend. Als sich die Arbeiterbewegung das ›Recht auf Arbeit‹ auf die Fahnen schrieb, hatte sie schon verloren. Seit die Arbeiter Arbeit fordern statt so wenig Arbeit wie möglich, blieb ihre Kritik systemimmanent und damit in einem befreienden Sinne wirkungslos.«

ZU EMPFEHLEN?
Ja. Auch dieses ist sehr zu empfehlen.

NOCH WAS?
Ja. An den Tipp denken. Kleine Portionen machen nicht satt, munden aber besser.

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