Die letzten Tage ging es Kim nicht gut. Und gestern ging es ihr schlecht.
Kim ist ein Mix von Labrador und Schnauzer. Der Labrador lieferte die Farbe (schwarz, die braun schimmernden Stellen stammen wohl vom Schnauzer), eine Reihe von Charaktereigenschaften und die Lust auf alles, was man fressen kann. Ein Labbi halt. Nur mit Wasser hat sie es nicht so.
Kim bekommt morgens eine Tablette, ein Schmerzmittel wegen ihrer altersbedingten Knochengerüstmalessen, dieselbe, weil sie nicht sehr groß ist und sich nicht vernünftig zerkauen lässt, mit einem Stückchen Käse, ein Brie, schön weich, schön lecker. Und gestern nahm sie das Stückchen Käse nicht. Und das nicht wegen der Tablette.
Den ganzen Tag über mäkelte sie an den Leckerlis herum, nahm nicht alle. Und abends dann die endgültige Katastrophe: Zum allerersten Mal in den rund neuneinhalb Jahren, die sie nun bei uns ist, hat sie ihren Napf nicht leer gefressen. Huhn mit Gemüse, dazu Kartoffelflocken, mit Wasser angesetzt (das ist dann wie Kartoffelbrei). Nach der Hälfte war Schluss. Ich konnte sie noch überreden, ein wenig mehr zu fressen, aber nach drei Vierteln ging einfach nichts mehr. Sie ging weg und ließ sich nicht mehr locken.
Ich hatte schon vorher überlegt, was ich tun konnte. Sie war nicht nur unlustig, was die Aufnahme von Nahrung anging. Sie war müde, irgendwie niedergeschlagen, unaufmerksam – sie reagierte nicht auf jede Ansprache –, beim Gassigang lief sie neben mir her, was sie normalerweise nie tut, sie geht immer voraus. Ich entschied dann – ohne Rücksprache mit der Tierärztin –, das Gabapentin abzusetzen, das sie wegen ihrer neurologischen Probleme – ihr Zittern und Schwanken – bekam, ein Humanmedikament – in meinen Augen für ein Tier sowieso nicht wirklich geeignet – gegen epileptische Symtpome und neuropathische Schmerzen. Ich gab ihr abends die übliche Kapsel einfach nicht.
Das Ergebnis zeigte sich schon in der Nacht. War sie in den zwei Nächten zuvor unruhig, stand immer wieder auf und taperte im Schlafzimmer herum – sehr schön dank des nicht vorhandenen Teppichs auch das Geräusch ihrer Krallen auf dem Laminat. Gestern Nacht schlief sie praktisch wie immer. Sie wurde einmal wach, trank Wasser, wollte zum Pieseln runter und schlief dann weiter.
Morgens nahm sie ihren Käse, und um kurz vor acht Uhr fanden wir uns wie verabredet bei der Tierärztin ein, direkt in der Nachbarschaft. Nach dem üblichen Theater, das Kim beim Anlegen des Maulkorbs – ein einfaches Stoffteil, das das Zuschnappen und Beißen verhindern soll – anstellte, war alles nicht ganz so tragisch. Fieber hatte sie nicht, ihr Magen war leicht verhärtet, was auf Magenschmerzen schließen ließ, und gegen ihren Schnupfen – sie niest schon längere Zeit häufig und heftig – bekam ich Tabletten mit pflanzlichen Wirkstoffen, schön groß diesmal und geschmacklich so attraktiv, dass Kim sie mit rechter Begeisterung zu sich nahm.
Und schon beim mittäglichen Gassigang dachte ich mir: ›Ja, das ist mein Mädchen.‹ Da lief sie im Freilauf vor mir her, strammen Schrittes, wie immer, bis sie anhielt, sich umdrehte und auf mich wartete, um ein Leckerli zu kassieren. Und am Abend war alles wie immer: Der Napf leerte sich mit der für einen Labbi typischen Geschwindigkeit, vollständig – und nur Naomi fand wie üblich noch das eine oder andere Molekül, das sie mit griechischer Sorgfalt seiner Bestimmung zuführte.
Meinem Mädchen geht es wieder gut. Sie ist immer noch alt, sie ist immer noch nicht hundertprozentig fit, aber ohne Gabapentin ist sie wieder das, was ich erwarte, wenn ich sie anschaue, wenn ich sie rufe, wenn sie zu mir kommt, mich anschaut …
Und jetzt, wo es ihr wieder besser geht, fühle auch ich mich wieder besser.
P.S.: Übrigens … das ist auch mein Mädchen … Meine Naomi …