Harry Potter and the Half-Blood Prince
(David Yates, USA 2009)
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Ich bin keiner von diesen beinharten Harry-Potter-Fans, die beim zweiten Kinobesuch mit der Freundin die ganze Zeit fachsimpeln, was im Film nicht mit dem Buch übereinstimmt, wie die psychologische Situation der magischen Maus in Szene 04718 war, bevor die Briefeule sie fraß, und was angeblich so toll an Alan Rickman in einer für meinen Geschmack völlig überbewerteten Schauspielerleistung sein soll. Ich kenne nicht eines der Bücher, obwohl meine Freundin sie hier herumstehen hat, irgendwo hinter mir, wo sie mich im Augenblick, da ich dies schreibe, vermutlich argwöhnisch beobachten. Harry Potter könnte mir eigentlich am Allerwertesten in beliebigem Abstand vorbeiziehen – wenn mir die Filme nicht gefallen würden.
Dieses Wochenende war Harry-Potter-Wochenende. Naja, nicht für mich, zum Glück. Meine Freundin hatte ihre beste Freundin zu Besuch, und die gaben sich von Freitagabend an bis heute Mittag Harry Potter 1 bis 5. Das Lustige an Harry-Potter-Fachfans ist ja, dass sie eigentlich auch nicht mehr Ahnung haben; jedenfalls nicht von den Dingen, auf die es ankommt. »Ich habe anderthalb Stunden pro Film eingeplant«, meinte meine Holde. Ahja, dachte ich. Anderthalb Stunden für einen Harry-Potter-Film. Nun, gut …
Gestern Abend dann waren wir im Kino, um Harry Potter 6, das Ding mit dem Halbblutprinzen, einzuschieben. Ich kannte ihn noch nicht, das Buch, wie erwähnt, auch nicht. Die Damen kannten das Buch, natürlich. Sie schoben den sechsten zwischen die Mitte vom dritten und den Anfang vom vierten Teil oder so. Keine Ahnung.
Das Kino war das sensationelle Griesbräu-Kino in Murnau. Sensationell aus zwei Gründen. Wir waren zu viert in dem Kino. In einem Kino, in das leicht 300 Leute reingingen, ein altes – oder jedenfalls nicht supermodern-neues – Kino mit viel Platz einer hohen Decke, keinen hässlichen Lautsprechern alle zwei Meter an den Wänden – und einer Beinfreiheit, dass man zwischen dem eigenen und dem vor einem befindlichen Sitz eine Southfork-Ranch hätte unterbringen können.
Über die Handlung will ich nicht viel schreiben. Die Fachfans kennen die Bücher, kennen den Film, wissen es eh besser. Die Nichtfachfans möchten sich vielleicht auch noch überraschen lassen. Es gibt einige Dinge, die ich anmerken möchte, die mir aufgefallen sind, während ich den Film sah (und während die Damen neben mir saßen und ihr Fachgespräch über Diskrepanzen, Mäuse und Alan Rickman führten).
Harry Potter reflektiert nichts Kindliches mehr. Die Schauspieler sind inzwischen fast erwachsen zu nennen; Radcliffe ist 20 Jahre alt, und damit passt er eigentlich nicht mehr auf Rowlings Romanfigur, nicht so richtig. Aber die ganzen Hauptdarsteller werden auch im sechsten Teil noch optisch gut downgraded, man hat da wenig Identifikationsprobleme. Es spielt auch keine Rolle, ob in diesem sechsten Teil Harry nun einen 15jährigen, einen 17jährigen oder gar einen 20jährigen spielt. Das Kindliche würde dem Film auch fehlen, hätte er einen 12jährigen spielen müssen.
Das kindliche Flair ist einfach weg. Es geht immer noch um Magie, aber die Magie in Harry Potter 6 ist nicht nur erwachsen geworden, sie ist nicht mehr so zum Staunen anregend fantastisch, wie im ersten oder zweiten Teil, sie ist Werkzeug geworden – und Waffe. Potter und Dumbledore spinnen fast so etwas wie eine Intrige, als Potter versuchen soll, Professor Slughorns Vertrauen zu gewinnen, um an die eine echte Erinnerung Slughorns zu gelangen, die mehr Wissen über Voldemort bringen sollte. Und diese Intrige ist eben keine solche mit einem 12jährigen, der etwas holen oder erledigen soll und dafür ein Extra-Eis bekommt. Diese Intrige ist handfest gestrickt, wenn auch nicht finster, nicht böse, sondern eigentlich ja gut gemeint, weil ja beide, Potter und Dumbledore, auf der richtigen Seite stehen. Aber tun sie das wirklich?
Während in den ersten beiden Teilen auf jeden Fall niemals ein Zweifel daran aufkommen konnte, auf welcher Seite welche Figuren stehen, ist dies in Teil 6 nicht mehr der Fall. Das echte Leben einer fiktiven Geschichte hat die Hauptfiguren eingeholt, gnadenlos und unausweichlich.
Ein wesentlicher Aspekt, der wirklich neu ist bei Harry Potter, ist die aufkeimende Sexualität zwischen Heranwachsenden. Wie gesagt, Radcliffe ist 20 Jahre alt, Emma Watson – eine bildschöne junge Frau, die in Harry Potter 6 bis fast an den Rand der Unscheinbarkeit downgraded wurde – 19 und Rupert Grint 21 Jahre. Da hat sich im realen Leben schon ganz anderes abgespielt, als das, was sich im sechsten Teil tut. Und dennoch –
Es ist ein klar erkennbarer Bruch zu sehen. Etwas – genau dieses! – ist anders. Hermione Granger (Emma Watson) leidet darunter, dass Ron Weasley Opfer eines dieser jungfräulichen Weiber wurde, deren Weltmittelpunktsgehabe gegenüber ihrem Angebeteten eigentlich für niemanden erträglich sein sollte. Ron wiederum versteht nichts. Harry lässt sich von Rons Schwester Ginny – sehr prüde gespielt von Julie Walters – küssen; ein Filmkuss, der niemals in irgendeinem Filmlexikon auftauchen wird, außer einem, das sich nur um Harry Potter dreht. Und dann ist da Lavender Brown (Jessie Cafe), die – verhext von Draco Malfoy – Harry Potter nachstellt. Und natürlich die offensichtlich geschlechtslose Luna Lovegood (Evanna Lynch), die zumindest beweist, dass J. K. Rowlings von einem in ihrem Leben definitiv zu viel zu sich genommen hat: Cindy Lauper.
Letztlich wird alles gut. Oder auch nicht. Ron immerhin wird seine Klette los und gesteht Hermione … was auch immer. Er liegt im Krankenbett, ist nicht wirklich bei Bewusstsein und murmelt Hermiones Namen. Und was ein guter Mann ist, ist ein richtiger Mann, und ein richtiger Mann erinnert sich nicht an das, was er sagte, als er nicht wirklich bei Bewusstsein war. Und Hermione schweigt.
Und Harry wird geküsst, einmal, und gut. Na, toll, denkt man sich – aber andererseits hat diese eine Szene schon etwas, erkennbar daran, dass sie mir immerhin in Erinnerung geblieben ist.
Ein weiterer Aspekt ist, dass Voldemort in persona in diesem Teil nicht auftaucht. Aber natürlich geht es um ihn. Es geht um seine Vergangenheit, um Tom Riddle, der dem Kinogänger erstmals im zweiten Teil, in der Kammer des Schreckens über den Weg lief. Im sechsten Teil wird er von zwei ansonsten unbekannten Schauspielern (Hero Fiennes-Tiffin spielt den 11jährigen, Frank Dillane den 16jährigen Riddle; die IMDb hat von beiden keine Fotos parat) gespielt, wenn es um die Erinnerungen geht, die Dumbledore in einer Vitrine aufbewahrt und in einigen Portiönchen nach und nach seinem Zögling Potter präsentiert.
Für jemanden, der wie ich nur die Kinofilme kennt und die auch nur ein oder zwei Mal gesehen hat, waren das schon interessante Neuigkeiten. In einem gut gefüllten Kino – das unseres gestern nicht war – hätte ich vielleicht seitens einiger der beinharten Fans die Kiefernknochen vom Gähnen knacken hören können. Wer weiß.
Immerhin entwickelt sich die Voldemort-Schiene aber in einer insofern interessanten Weise, als dass mindestens eine Figur involviert wird, bei der man vielleicht nicht damit hätte rechnen müssen.
Dass der Vater von Draco Malfoy ein offensichtlich unangenehmes Schicksal erlitt – jedenfalls eines, das seine Präsenz im sechsten Teil auf Null reduzierte –, war mir entgangen. Nicht aufgepasst, gepennt, vergessen, keine Ahnung. Draco jedenfalls, des Vaters Brut und kaum kaschiert Ausgeburt der dunklen Seite allen Seins, wird ausgerechnet von Professor Severus Snape in Obhut genommen, der noch dazu einen »unbrechbaren Eid« leistete, um zu versichern, wie sehr ihm an Dracos Zukunft läge.
Oder auch nicht. Im Grunde wird man hier in einer Form aufs Glatteis geführt, die zeigt, dass der, der umfällt, auch zu dumm ist, auf trockenem Boden gerade zu stehen. Es wird alles dazu getan, Rickmans Figur Snape in die dunkle Ecke zu rücken, aber, hallo …? Es ist lange her, dass ich Fantasy las, aber ich erinnere mich noch an Plotklischees, die auch nicht nur in der Fantasy auftreten. Und ein vermeintlich Böser – gerade in einem Film mit so klar getrennten Schwarz-Weiß-Einstufungen –, der mehrere sensationelle Möglichkeiten nicht nutzt, dem Hauptdarsteller – Harry Potter – eins auf die Fresse zu geben, und zwar so, dass der das nicht wieder vergisst, der ist kein wirklicher Böser, sondern allenfalls ein Schlitzohr, das versucht, sich bei der Gegenseite so lange und so gut einzuschleimen, dass er dann irgendwann mit dem ultimativen Sieg auftrumpfen kann.
Dass Snape Dumbledore tötet, ist nicht mal ein Argument. Dumbledore war einfach fällig. That’s it. Nothing else. Fällig. Und gut.
Und so ist es wohl auch nicht nur der inzwischen verloren gegangenen Kindlichkeit der Potter-Filme zuzuschreiben, dass sich die Trauer und Verzweiflung und was auch immer der Hauptpersonen ob des Ablebens von Dumbledore in ganz engen Grenzen hielt. Eher noch erweckte die Schlussszene in dem Schlossturm, in der Harry Potter mitteilte, dass er nicht nach Hogwarts zurückkehren würde, den Eindruck, als sei der Tod Dumbledores willkommen gewesen, der lang ersehnte Moment – jedenfalls für Harry –, erwachsen zu werden. Sic!
Eine Unstimmigkeit fiel mir auf, als irgendwann Dumbledore die Schule verlassen haben sollte, kurz darauf aber in seinen Räumlichkeiten mit Potter dabei war, wieder eine von den Erinnerungen aus seiner Sammlung zu goutieren. Das fand ich ein wenig unsauber.
Und unangenehm fiel mir wiederum Alan Rickman auf. Ich kenne, wie gesagt, die Bücher nicht, aber ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass die Rolle des Severus Snape seitens der Autorin so dumm-hölzern, so auf »ich bin geheimnisvoll, weil ich nichts zu sagen weiß« ausgelegt worden ist, wie Rickman in den Filmen wirkt. Und im sechsten Teil war das gleich dreifach ärgerlich, weil die einzige Szene, die dem Film seinen Zusammenhang mit dem Titel – »der Halbblutprinz« – brachte, die war, als Snape Potter zum zweiten Mal auf den Wiesenboden niederstreckte und dann irgendwas Dämliches wie »… ich bin nämlich der Halbblutprinz!« von sich gab, und das war’s dann. Das war so die Stelle, wo ich auch einen Untertitel erwartet hätte: »Hallo, Zuschauer, danke für deine 8 Euro, dafür darf ich dich jetzt nach Strich und Faden verarschen, du Trottel!«
Nun gut. Ich bin kein Harry-Potter-Fan und ich werde auch keiner. Ich denke, in meinem Hause, in dem ich lebe, reicht einer von der Sorte, und das ist meine Freundin. Trotzdem mag ich die Filme, auch wenn ich zugeben muss, dass ich die alten Filme, die ersten zwei, drei … hübscher fand, magischer, frischer. Aber auch der sechste Teil hat mir nicht nicht gefallen. Ich werde ihn mir sicherlich noch mal anschauen, auf DVD, bei »Sky«, sonst wo, keine Ahnung. Vielleicht sogar auch im Kino. Man wird sehen. Er ist für mich kein Sensationsfilm, aber er hat die bisher gesehenen Filme in einer klar erkennbaren, schönen Folge weitergeführt, weiterentwickelt. Es hat, wie man in Bayern sagt, gepasst. Mehr hatte ich nicht erwartet.