Ulrich Harbecke: Der Poet von Bethlehem
Ganz still und heilig war die Nacht.
Fast alles schlief. Nur einsam wacht
das traute und hochheil’ge Paar.
Da stand jedoch, ich denke mir,
ein Fremder vor des Stalles Tür,
ein kleiner, etwas blasser Mann,
mit Brille, Schirm, zerbeultem Hut,
ein Schreibheft noch als Attribut,
und klopfte schüchtern an.
„Wer ist denn das?“ St. Joseph sprach.
Er nahm ein Licht und sah gleich nach.
Der Fremde, der dort vor ihm stand,
war ihm noch völlig unbekannt.
Er sei, so sagte er diskret,
in Betlehem der Hauspoet.
Er liebe es, auf alle Sachen
sich Strophe, Vers und Reim zu machen.
Ein guter Reim sei quasi
wie das Standesamt der Poesie,
wo man ein Paar zusammengibt,
das sich schon lange heimlich liebt.
Man kann in Liedern und Geschichten
dasselbe immer neu berichten.
Parolen, Sprüche, Kontroversen
erweichen sich in Klang und Versen.
Am Ende macht ein Komponist,
weil das doch schön und üblich ist,
daraus ein neues Weihnachtslied,
und das zieht leise durchs Gemüt.
Vielleicht nur Illusion und Traum
und manchmal etwas Kitsch und Schaum,
doch damit werden Welt und Zeit
ein wenig wen‘ger kalt, und weit.
Sogar der Menschen Hass und Streit
ist, wenn in ein Gedicht verwandelt,
fast therapeutisch abgehandelt.
Es wird Gestalt, wird Bild und Klang,
wird Solo- oder Chorgesang,
man wird den Seelenstau famos
wie durch ein Abführmittel los.
Und einer weiß, wie sowas geht.
Das ist nicht etwa der Prophet,
nicht Kleriker und Theologe,
Didaktiker und Philologe.
Es ist vor allem der Poet,
der überm Abgrund tanzt und singt,
der Atemluft und Freude bringt,
als Könner und mit viel Geschick
(gelegentlich mit schlauem Trick)
so manche dunkle, kalte Nacht
ein wenig still und heilig macht.
Und wenn etwas wie hier passiert,
das Gräben schließt und Zukunft schafft
mit Fantasie und Lust und Kraft
ein neues Zeitalter gebiert,
das ist ein Stoff, der – klug gestaltet –
die Herzen rührt, den Geist entfaltet.
Dann läuft das Reimen wie geschmiert.
Hier unten der prekäre Stall,
hoch oben hell der Stern im All.
Es hätten, sagt man, unprobiert
Engel und Hirten musiziert.
Im Wochenblättchen war zu lesen,
drei Kön‘ge seien hier gewesen,
durch Gottes Hand von fern gelenkt
und hätten reich das Kind beschenkt.
Man glaubt gar, dass mit diesem Kind
ein völlig neuer Weg beginnt.
In jedem Land, in jedem Haus
dort breche nun der Frieden aus.
In Parlament, Verein, Partei
sei Schluss mit Häme und Geschrei.
Egal, wer irgendwo regiert,
die Menschenrechte respektiert.
Das schreib ich auf. Das wird man lesen.
An Versen soll die Welt genesen!
Schweratmend schwieg der kleine Mann.
St. Joseph sah ihn staunend an.
Der Ochse hatte unterdessen
das Wiederkäuen fast vergessen.
Der Esel, dem längst alles klar,
rief ein begeistertes „I-A“.
Maria nickte, lachte fein
und sprach: „Genau so soll es sein.“
Dort lag ihr Kind im Krippennest
und schlief ganz ruhig, tief und fest.
Der Dichter sah das traute Glück.
Er zog sich zart und still zurück,
stieg draußen auf sein Flügelross
und ließ beschwingt die Zügel los.
(präsentiert von p.machinery Michael Haitel, Winnert, mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Ich bin kein Lyrikfan. Aber jedes Mal, wenn ich vom „Standesamt der Poesie“ lese, macht mich das fertig. Positiv fertig. Es packt mich, greift mich, reißt mich mit. Standesamt der Poesie …